Ischinger wurde in Beuren, im damaligen Landkreis Nürtingen, etwa 45 km südöstlich von Stuttgart, geboren. Sein Vater Karl war Notar in Stuttgart. Der mütterliche Großvater August Pfänder war lange Jahre Bürgermeister von Nürtingen.[1]
1975 trat er in den Auswärtigen Dienst in Bonn ein, zunächst zuständig für Politische Planung. 1978 war er Absolvent des „Young-Leader-Programms“ beim American Council on Germany (ACG). In den folgenden Jahren war er unter anderem in den Botschaften in Washington, D.C. (1979–1982) und Paris (1990–1993) tätig, zuletzt als Gesandter-Botschaftsrat und Leiter der Politischen Abteilung.[4] Von 1982 bis 1990 war er erst Persönlicher Referent und später Leiter des Parlaments- und Kabinettsreferats des damaligen Außenministers Hans-Dietrich Genscher (FDP). Im Oktober 1989 begleitete er einen Zug, mit dem DDR-Flüchtlinge aus der bundesdeutschen Botschaft in Prag über das Gebiet der DDR in die Bundesrepublik gebracht wurden.[5]
Im Frühjahr 2008 wurde er auf eigenen Antrag vom Auswärtigen Dienst beurlaubt, um dem Wunsch der Bundesregierung Merkel entsprechend den Vorsitz der Münchner Sicherheitskonferenz (MSC) als Nachfolger von Horst Teltschik zu übernehmen.
Von Mai 2008 bis Dezember 2014 war er „Generalbevollmächtigter für Regierungsbeziehungen“ für den neu geschaffenen Bereich der Allianz SE in München („Global Head of Government Relations“), was ihm die Bezeichnung „Cheflobbyist“ einbrachte.[6][7]
2014 war er Vertreter des Chairman-in-Office der OSZE für den nationalen Dialog an Runden Tischen in der Ukraine (siehe Krieg in der Ukraine seit 2014). Seit 2015 ist er Vorsitzender des „Panel of Eminent Persons on European Security as a Common Project“, einer OSZE-Kommission für Europäische Sicherheit.
Seit 2022 ist Christoph Heusgen sein Nachfolger in der Leitung der Münchner Sicherheitskonferenz.
Ischinger ist in zweiter Ehe mit der Journalistin und Autorin Jutta Falke-Ischinger verheiratet und hat drei Kinder. Seine erste Frau Barbara Ischinger war bis 2014 Bildungsdirektorin der OECD in Paris.
Außenpolitische Rolle
Strategieentwicklung
Die Arbeit im Planungsstab des Auswärtigen Amts (1977–1979 und 1993–1995) ermöglichte Ischinger konzeptionelles außenpolitisches Arbeiten, das sich u. a. in Veröffentlichungen in deutschen, englischen und französischen Fachzeitschriften niederschlug. Besondere Aufmerksamkeit widmete er Grundfragen deutscher Außenpolitik, wie z. B. der Frage nach der Definition deutscher Interessen, der deutschen Sicherheits- und Abrüstungspolitik, der Fortentwicklung der Europapolitik und des Verhältnisses zu Russland, der Schritte zu einer gemeinsamen europäischen Außenpolitik, ebenso wie Fragen regionaler Krisenpräventionspolitik, insbesondere auf dem Balkan. Unter anderem war Ischinger 1995 mit dem damaligen US-amerikanischen Sonderbeauftragten für den Balkan Richard Holbrooke am Zustandekommen des Friedensvertrages von Dayton für Bosnien-Herzegowina beteiligt.
Von Juli bis Dezember 2007 vertrat Ischinger die Europäische Union in den sogenannten Troika-Verhandlungen (gemeinsam mit USA und Russland) mit Belgrad und Pristina über die Zukunft des Kosovo.[12] Ischinger meldet sich regelmäßig in den außen- und sicherheitspolitischen Debatten zu Wort, unter anderem mit einer monatlichen Kolumne auf der Homepage der Münchner Sicherheitskonferenz.[13] 2009 forderte er mehr europäische Unterstützung für US-PräsidentBarack Obama und setzte sich für ein stärkeres europäisches Engagement in Afghanistan ein.[14]
Vorschläge zur Vorbereitung eines künftigen Friedens in der Ukraine
In einem Beitrag für den Tagesspiegel entwickelte Ischinger am 13. März 2023 Vorschläge für einen künftigen Frieden in der Ukraine gut ein Jahr nach dem russischen Überfall auf die Ukraine. Denn es gelte, nicht in strategischer Schockstarre zu verharren. „Außer Waffenlieferungen und finanzieller Unterstützungsleistungen müssen wir dem anwachsenden kritischen Fragenchor in den USA genauso wie bei uns in Deutschland Perspektiven anbieten.“ Neben die militärische Ramstein-Kontaktgruppe solle unverzüglich einen politisch-strategische Kontaktgruppe treten und mit dem Mandat ausgestattet werden, „alle denkbaren Elemente möglicher künftiger Verhandlungskonzepte zu prüfen, Optionen für Verhandlungsstrategien zu entwickeln, Textentwürfe zu erarbeiten und mit der Ukraine abzugleichen.“ Angehören sollte einer solchen Kontaktgruppe die „klassische transatlantische Vierergruppe“ aus USA, Großbritannien, Frankreich und Deutschland als möglicher engster Kern, ergänzt um europäische und transatlantische Partner wie Kanada, Spanien, Polen, Italien, die Baltischen Staaten sowie die UN, EU, OSZE und Nato. Einladungen für einen weiteren, äußeren Mitwirkungskreis sollten nach Ischingers Vorstellungen auch Staaten des globalen Südens wie Brasilien, Indien und China erhalten.
Ischinger argumentiert für seinen Vorschlag mit zwei zeitgeschichtlichen Beispielen: So sei bereits das Friedensabkommen von Dayton für Bosnien-Herzegowina im Jahr 1995 von einer ähnlich gearteten Kontaktgruppe vorbereitet worden; und der Resolution 1244 des UN-Sicherheitsrates zur Beendigung des Kosovokriegs habe eine Initiative des damaligen deutschen Außenministers Joschka Fischer zugrunde gelegen, der die zuständigen Fachleute im Auswärtigen Amt mit der Ausarbeitung eines Friedensplans beauftragt habe. Ischingers Plädoyer für die Ausarbeitung „aller denkbaren Optionen“ eines Friedensprozesses für die Ukraine endet mit den Worten: „Und nehmen wir damit bitte den Schwarzers, Wagenknechts und Prechts den Wind endgültig aus den Segeln.“[17]
Im Februar 2022 wurde berichtet, dass Ischinger entgegen eigenen Behauptungen – laut denen er die Münchener Sicherheitskonferenz ehrenamtlich leitet und lediglich eine Aufwandsentschädigung erhält – über seine Beratungsfirma Agora Strategy Group AG an der Münchner Sicherheitskonferenz verdiente.[44] So habe die Firma, an der Ischinger 30 Prozent hält, laut Spiegel Termine und Kontakte auf der Konferenz zum Verkauf angeboten.[45] Ischinger wies die Vorwürfe eines Interessenkonflikts zurück[46] und beantwortete den Fragenkatalog des Magazins vollständig. Fragen und Antworten wurden auf der Webseite der Münchner Sicherheitskonferenz veröffentlicht.[47]
Schriften (Auswahl)
mit Kurt Hesse: Die Entwicklungsschwelle. Der Übergang vom Entwicklungsland zum entwickelten Land unter Einbeziehung von 3 Testfällen. Mit 84 Tabellen. Duncker und Humblot, Berlin 1973. ISBN 3-428-02957-7.
mit Des Browne, Igor Ivanov, Sam Nunn (Hrsg.): Building Mutual Security in the Euro-Atlantic Region. Report Prepared for Presidents, Prime Ministers, Parliamentarians, and Publics. Nuclear Threat Initiative, Washington, D.C. 2013.
(Hrsg.): Towards Mutual Security. Fifty Years of Mutual Security. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen u. a. 2014, ISBN 978-3-525-30054-1.
Welt in Gefahr. Deutschland und Europa in unsicheren Zeiten. Econ Verlag. 2018.
Literatur
Wolfgang Ischinger in: Internationales Biographisches Archiv 14/2014 vom 1. April 2014 (la) Ergänzt um Nachrichten durch MA-Journal bis KW 14/2015, im Munzinger-Archiv (Artikelanfang frei abrufbar).
↑Sven Becker, Rafael Buschmann, Nicola Naber, Christoph Schult, Keno Verseck: Wolfgang Ischinger: Der Chef der Münchner Sicherheitskonferenz und seine diskreten Geschäfte mit den Mächtigen. In: Der Spiegel. Band08/2022, 17. Februar 2022, ISSN2195-1349 (spiegel.de [abgerufen am 17. Februar 2022]).